Kennst du das, wenn du einer ganz alltäglichen Aufgabe nachgehst und dir plötzlich die Lösung für ein Problem einfällt, an dem du seit langem arbeitest? So in etwa ging es der Designerin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Ann Cathrin Schönrock, als sie auf der Suche nach einem hochwertigen, nachhaltigen und tierethischen Garn war.
Zusammen mit ihrer Co-Gründerin Franziska Uhl hat sie nicht nur Chiengora®, ein feines Garn aus Hundewolle, entwickelt, sondern auch das Unternehmen YarnSustain gegründet. Und die Reise ist noch lange nicht zu Ende: Gerade sind sie dabei, Garn-Qualitäten aus anderen Haustierhaaren zu entwickeln. Beschafft wird dieser wertvolle Rohstoff durch den Verein Rohstoffe retten - modus intarsia e.V. (i.G.), mit dem sie sich der Bildungsarbeit verschrieben haben und möglichst viele verwendbare Ressourcen vor der Mülltonne retten möchten – durch das Sammeln ausgekämmter Unterwolle, die von Haustierbesitzer:innen, Hundefriseursalons und Züchtenden gespendet wird.
Moment mal, ein junges, frauengeführtes und nachhaltiges Unternehmen, das es sich auf die Fahne geschrieben hat, ungenutzten Rohstoffen ein zweites Leben zu schenken? Um das zu fördern, hat Wildling YarnSustain Kapital zur Verfügung gestellt. Ohne Anteile als Gegenleistung, denn wir wissen selbst, wie wertvoll maximale Entscheidungsfreiheit im eigenen Unternehmen ist. Außerdem steht das Wildling Team Ann Cathrin und Franziska bei unternehmerischen Fragen zur Seite. Zum Beispiel, wenn es ums Netzwerken oder die Lieferkette geht.
Heute lernen wir YarnSustain etwas besser kennen und Co-Gründerin Ann Cathrin beantwortet uns ein paar neugierige Wildling Fragen.
Ann Cathrin, erzähl doch mal: Warst du schon immer eine “Hunde-Person”?
Meinen ersten Hund bekamen wir, als ich gerade drei war und ich bin sehr glücklich, dass auch meine Tochter von Geburt an mit einer liebenden Fellnase um sich herum aufwächst. In der ganzen Familie haben wir so im Schnitt immer um die acht Hunde gehabt. Seit nun 11 Jahren begleitet mich meine Hundedame Emma. Sie ist ein adoptierter Cocker Spaniel. Also, ja, ich denke ich war schon immer eine „Hunde-Person“. ;)
Wie bist du auf die Idee gekommen, Hundehaare als Rohstoff zu nutzen?
Der Ausgangspunkt war mein eigener Bedarf und Anspruch als Mode- und Strickdesignerin, mit wirklich authentischen, nachhaltigen Garnen arbeiten zu wollen. Ich wollte tierethisch arbeiten, aber gerne trotzdem warm. Außerdem wollte ich auf jeden Fall Plastik vermeiden, keine schwierig oder gar nicht recycelbaren Materialien verwenden oder auf Qualität verzichten. Da gab es nichts am Markt.
Bei einem Besuch bei meiner Mutter, als wir gerade gemeinsam unsere drei Fellnasen ausgebürstet haben, hatten wir auf einmal einen Berg an weicher Unterwolle vor uns liegen und der Gedanke, daraus Garn zu machen, schien nahe.
Die Recherche ergab schnell, dass es eine lange Tradition gibt, in kleinsten Mengen Hundewolle per Hand zu einem Garn zu verarbeiten. Im Laden konnte man es aber nicht kaufen. Bis heute warte ich vergeblich auf den Moment, wo mir klar wird „ah, deswegen macht es niemand.“
Foto: Stephanie Braun für YarnSustain
Und wo bekommt ihr die Haare her?
Der Verein Rohstoffe retten - modus intarsia e.V. ruft jede:n einzelne:n Hundehalter:in, Hundeliebhaber:in und Hundesalon dazu auf, die Unterwolle der Tiere zu sammeln und einzusenden. Wir kaufen dem Verein die Rohwolle ab. Die Erlöse nutzt der Verein, um damit Tier- und Umweltschutzprojekte finanziell zu unterstützen. Durch dieses Konstrukt verdient niemand an der Unterwolle von Haustieren.
Mitmachen geht übrigens auch in kleinen Mengen, ab einem Gewicht von 500g wird sogar der Versand übernommen. Auf der Website des Vereins kann man sich dazu einen Versandschein lösen.
Wie können wir uns das vorstellen? Bringt man dann einfach Hundehaare in eine normale Spinnerei?
Wir haben tatsächlich die gesamte Lieferkette neu aufgebaut. Man kann ja (zum Glück für uns als Gründerinnen) nirgendwo Hundewolle in großen Mengen kaufen und inzwischen können wir auf ein sehr gutes Netzwerk in den gesamten für uns wichtigen Lieferketten zurückgreifen.
Kannst du uns den Produktionsprozess kurz umreißen? Welche Herausforderungen gibt es bei der Verarbeitung?
Die größte Herausforderung sind unsere hohen Ansprüche an die Lieferkette. Die Fasern für einen einzelnen Produktionsschritt nach Asien fliegen zu lassen und wieder zurück, wäre mit unserem Purpose nicht vereinbar, allerdings ist die Garn-Industrie in Deutschland inzwischen komplett abgewandert. Selbst innerhalb Europas ist es schwer, noch passende Partner:innen zu finden, aber wir haben es schließlich doch geschafft. Inzwischen haben wir sogar tatsächlich einen der Produktionsschritte, das sogenannte „Entgrannen“, durch unsere Arbeit wieder zurück nach Deutschland geholt, indem wir eine eigene Maschine gekauft haben.
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Gut zu wissen: „Entgrannen“ heißt der Prozess, bei dem die längeren, groberen Deckhaare (Granne) von der feinen, für das Garn verwendeten Unterwolle getrennt werden.
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Nun kommen inzwischen Interessent:innen auf uns zu und möchten diesen Produktionsschritt bei uns machen lassen. Sowohl der Bedarf, als auch der Wille lokal zu produzieren, aber dafür etwas mehr zu zahlen, ist also da.
Foto: Stephanie Braun für YarnSustain
Welche Eigenschaften hat Wolle aus Hundehaaren im Vergleich zu anderer Wolle? Und wie pflegt man die Wollprodukte am besten?
Als Faser unterm Mikroskop ist die Unterwolle von Hunden vergleichbar mit anderen Edelfasern, wie bspw. Kaschmir. Ja, sogar fast besser.
Woran machen wir das fest? Einerseits an der Faserfeinheit. Diese misst man in sogenannten Micron: je geringer der Wert, desto feiner ist die Faser. Schurwolle hat zum Beispiel einen Micronwert um die 35nm oder höher, feines Merino hat Micronwerte zwischen 21-32nm und leichtes Kaschmir liegt bei 15-25nm. Bei Chiengora® bewegen wir uns im Schnitt zwischen 22-16nm, das geringste was wir unterm Mikroskop hatten, waren 11nm.
Hinzu kommt, dass es sich bei Chiengora®, wie auch zum Beispiel bei Kaschmir, um eine Hohlfaser handelt. Das bedeutet einerseits, dass sie leichter ist. Andererseits ermöglicht sie auch eine erhöhte Wärmeisolierung.
Das fertige Produkt, gestrickt aus unserem feinen Industriegarn, ist im Gefühl so leicht und weich wie Kaschmir. Tatsächlich ist das eine Frage, die wir oft bekommen: „Ist das Kaschmir?“.
Auch in der Pflege ziehen wir diesen Vergleich gerne: sanft waschen und zum Trocknen auf ein Handtuch legen, das Garn genauso behandeln wie eine Edelfaser behandelt werden möchte. Wenn ein Produkt aus Chiengora® nicht schmutzig ist, reicht auch Auslüften. Das spart wiederum Ressourcen in der Pflege.
Wo waren deine/eure Hürden und Herausforderungen beim Gründen? Wie hast du das Gründen als weiblich gelesene Person empfunden?
Puh, wo soll ich da anfragen? Anfangs war es sehr schwer, überhaupt ernst genommen zu werden – mit der Idee und dann auch noch als Frau. Die wissenschaftlichen Belege und die sogenannten „Proof-of-Concepts“ kamen ja erst nach und nach.
Dank eines wahnsinnig guten Business- und Finanzplans haben wir uns erfolgreich auf das Gründungsstipendium „EXIST“ beworben.
Ein sehr trauriges Beispiel geschah erst vor ein paar Monaten, als wir bei einem Dreh von der Redakteurin gefragt wurden, wo denn jetzt der Professor sei, der das alles für die Kamera nochmal bestätigen könnte. („Naja, damit er sagen kann, dass das alles Hand und Fuß hat.“)
Und auch als es um die weitere Finanzierung ging, hatten wir ein paar sehr dreiste Anfragen von Investoren, die uns offen ins Gesicht jegliche Qualifikation abgesprochen haben und unser Business als Hobby betreiben wollten.
Umso glücklicher sind wir über unsere Auszeichnungen und Preise und auch über die Umsätze auf dem Konto, die uns bestätigen, dass wir auf einem guten Weg sind und auf uns und unser Können vertrauen können.
Foto: Stephanie Braun für YarnSustain
Bei eurem Start war Hundewolle ein reines Nischenprodukt, wie hat sich das seitdem entwickelt?
Wir freuen uns sehr darüber, dass Hundewolle, vor allem bei Handspinner:innen, an Beliebtheit gewinnt. Als eine große Aufgabe von uns sehen wir die Bildungsarbeit über diesen Rohstoff und das von uns entwickelte Chiengora®, was daraus entsteht.
Einerseits ist es für uns natürlich toll, dass mehr Menschen mit Unterwolle von Haustieren arbeiten möchten, andererseits birgt es für uns aber auch ein Risiko.
Wir haben Jahre damit verbracht, den Prozess des Chiengora-Spinnens zu optimieren und stehen mit dem Namen Chiengora® für enorm hohen Qualitätsanspruch, reine Fasern, ohne Gerüche. Das kann man gar nicht auf die Schnelle entwickeln. Aber natürlich gönnen wir es auch allen Handspinner:innen oder kleinen Spinnereien, mit diesem wunderbaren Material zu arbeiten. Dabei muss man aber deutlich zwischen den Produktqualitäten des Garns differenzieren.
Letztendlich bleibt Hundewolle bzw. Chiengora® ein Nischengarn. Selbst wenn wir einmal 100 Tonnen oder mehr jährlich vor dem Mülleimer retten können. Die Textilindustrie als Ganzes handelt da mit ganz anderen Mengen.
Foto: Fashion Changers
Was habt ihr im nächsten Jahr vor?
Wir wollen in Kooperation mit dem Verein Rohstoff retten - modus intarsia e.V. die Rohstoff-Rettung noch mehr in die Gesellschaft tragen und sind dabei permanent auf der Suche nach starken Partner:innen, um dieses Sammel-Netzwerk nicht nur national, sondern sogar international ausweiten zu können. Die Vision dabei ist es, möglichst viel Rohstoff zu sammeln.
Auf der anderen Seite haben wir nicht nur einige spannende Interessent:innen für unser Garn, sondern auch einige eigene Produkte, welche ab Herbst im Online Shop zu finden sein werden.
Liebe Ann Cathrin, wir freuen uns auf alles, was ihr noch vorhabt und danken dir für dieses spannende Interview!
Wer jetzt Lust bekommen hat, der Wolle seines:ihres vierbeinigen Lieblings ein zweites Leben zu schenken, findet auf der Homepage von Rohstoffe retten alle Informationen zum Einschicken der Hundehaare.
Titelfoto: Stephanie Braun für YarnSustain