Ein Gastbeitrag von Jana Braumüller, ehemalige Co-Founderin von Fashion Changers
Im November kommen wir auch 2023 um einen Tag nicht herum: Black Friday – einer der wichtigsten Konsumtage, der vor allem von öko-fair handelnden Unternehmen bis dato eher kritisch beäugt wurde. Doch die Zeiten ändern sich. Wir haben in den letzten Jahren viel erlebt: Pandemie, Kriege, Inflation – Krisen. Vieles davon hat sich sehr direkt auf unser Einkaufsverhalten – und damit auch auf nachhaltigere Unternehmen – ausgewirkt.
Laut dem Marktforschungsunternehmen GfK ist der von ihnen erhobene Nachhaltigkeitsindex derzeit so niedrig wie noch nie. „Die aktuelle Situation zeigt, dass nachhaltiger Konsum zunehmend eine Frage des Einkommens wird“, stellt Petra Süptitz, Nachhaltigkeitsexpertin bei GfK fest. Fast die Hälfte der Befragten kann sich Nachhaltigkeit schlicht nicht mehr leisten. Ich habe mich dieses Jahr also gefragt: Wie sollte die nachhaltige (Mode-)Branche angesichts der anhaltenden schwierigen wirtschaftlichen Lage mit Phänomenen wie Black Friday umgehen? Weiter boykottieren, Schlupflöcher finden oder schlicht und ergreifend: mitmachen?
Black Friday, Schwarzer Freitag
– als ob wir gerade in diesem Jahr noch so einen Tag bräuchten. Schwarze Tage gab und gibt es doch zu genüge. Zudem ist Black Friday berühmt dafür, mit Angeboten zu locken, die aus verschiedenen Gründen, sagen wir, eher bescheiden sind: Zum Beispiel weil Unternehmen extra Ramschprodukte möglichst günstig produzieren, um diese am Black Friday billig (und trotzdem mit großer Marge) zu verkaufen. Oder weil ein solcher Sale dazu verleitet, Dinge zu kaufen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Oder weil am Ende noch mehr produziert wird, wovon ein Großteil in der Tonne landet. Kritik gibt es also genug – zurecht.
Doch: Gibt es auch valide Gründe, mitzumachen?
Denn seien wir mal ehrlich: So richtig entziehen können wir uns dem nicht – weder als Unternehmen noch als Kund:innen. Schaue ich mich in meinem direkten Umfeld, bei Bekannten, bei Freund:innen, aber auch in meinem Viertel und außerhalb meiner Peergroup um, steht die Frage der Leistbarkeit aktuell ganz oben.
Wäre es nicht schön, wenn sich mehr Menschen fair hergestellte Produkte leisten könnten? Vor allem in dem Wissen, dass diese Produkte in einer Wertschöpfungskette entstehen, in der alle Beteiligten gerecht bezahlt und behandelt werden und die Umwelt keinen Schaden nimmt. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Nachhaltigkeitsthemen zunehmend untergehen und doch drängender denn je sind. Wenn öko-faire Unternehmen mehr Produkte dank vergünstigter Preise verkauften, wäre dies eine Win-Win-Situation für alle: Produzierende, Marken und Verbraucher:innen.
Ich finde noch ein weiteres Argument: Attraktivität.
Laut GfK glauben immer noch 73 Prozent der Konsumierenden, dass sie durch eigenes Verhalten aktiv zum Klimaschutz beitragen. Diese 73 Prozent benötigen ein Angebot, das leistbar und attraktiv ist. Natürlich können öko-fair hergestellte Produkte preislich oft nicht mit Fast Fashion mithalten. Sollten sie auch gar nicht.
Doch einige Menschen dieser großen Mehrheit sind sicher bereit, etwas mehr – aber eben nicht viel mehr – Geld für ein echtes Nachhaltigkeitsversprechen auszugeben. An Tagen wie Black Friday sind sie auf der Suche nach genau diesem Angebot. Wo werden sie wohl kaufen, wenn keine nachhaltigere Alternative verfügbar ist?
Ich bin mit meinen Überlegungen nicht allein. In der Fair-Fashion-Branche ist ein Grollen zu vernehmen. Viele machen sich Gedanken. Einige bieten Alternativen an, wie zum Beispiel den gesamten Monat Rabatte – natürlich in einem anderen Framing, weil es, ja genau, attraktiver klingt. Andere geben einen für sie umsetzbaren Rabatt nur an Black Friday. Wieder andere konnten sich darüber keine Gedanken mehr machen, weil sie bereits vorher aufgeben mussten.
Und Wildling?
Die machen dieses Jahr zum ersten Mal mit. Überraschend – auch für mich. Und doch: nachvollziehbar. Ich wollte von Anna Yona, Co-Gründerin von Wildling Shoes wissen, was sie dazu bewogen hat.
Anna Yona, Gründerin von Wildling Shoes. Foto: Sandra Chiolo | Wildling Shoes
Wir sprechen außerdem darüber, was Sales in der Branche generell bedeuten und warum uns ein anderes, nach vorn schauendes Narrativ in diesen Zeiten gut tut, um als Unternehmen weitermachen zu können.
Jana Braumüller: Bisher stand Wildling dem Black Friday sehr kritisch gegenüber. Dieses Jahr macht ihr zum ersten Mal mit – warum?
Anna Yona: Unsere Kritik an Black Friday und ähnlichen Formaten war bislang, dass solche Events Leute dazu bewegen, etwas zu kaufen, was sie eigentlich nicht brauchen. Unternehmen setzen dabei voll auf diesen Impulskauf. Das ist auch ein Symptom unserer Wegwerfgesellschaft: billig produzierte Dinge, die nicht lang halten und die entsprechenden Müllberge – gerade im Modebereich. Viele Unternehmen planen einen Sale von vornherein mit ein und dann wird zum Teil absichtlich für den Sale überproduziert.
Bei Wildling haben wir Sale lange immer sehr klar genutzt, um Planungsfehler auszugleichen. Auf der anderen Seite wissen wir natürlich auch, dass unsere Produkte aufgrund unserer ökologisch-sozialen Produktionsbedingungen verhältnismäßig hochpreisig sind und Menschen sich freuen, unsere Produkt auch für einen etwas günstigeren Preis zu bekommen.
Also spürt ihr den Druck der Branche?
Anna: Die Entwicklung der letzten Jahre war in der gesamten Branche schwierig – erst durch die Pandemie, dann durch Rezession, gestiegene Lebenshaltungskosten, Inflation. Da gab es im gesamten Markt Fehlplanungen. Die meisten Marken haben für einen anderen Jahresverlauf geplant. Damit entsteht jetzt etwas, was ganz viele Brands dazu bewegt, ihren Bestand über Sales und Rabatte loszuwerden. Es wird entweder über individuelle Codes das ganze Jahr über rabattiert, oder dauerhaft bestimmte Modelle zu niedrigeren Preisen angeboten. Jetzt eben auch verstärkt zum Black Friday. Klar baut das auch bei uns irgendwann einen gewissen Druck auf: Wenn wir dann nicht dabei sind, ist sehr viel Arbeit am Ende umsonst.
Was meinst du damit?
Anna: Wir versuchen die ganze Zeit Kund:innen anzusprechen, erzeugen dafür hochwertigen Content und in dem Moment, wo die Menschen einkaufen, sind wir nicht sichtbar. In einem Jahr wie diesem bekommen die Leute die ganze Zeit sehr krasse Rabattangebote. Das wird mittlerweile auch über personalisierte Werbung sehr gezielt ausgespielt. Jemand, der bei uns auf der Seite gewesen ist, bekommt hinterher Werbung von unseren Wettbewerbern ausgespielt.
Wenn diese mit günstigen Preisen locken können, geht die ganze Arbeit, die wir in unseren Markenaufbau gesteckt haben, verloren. Das heißt, irgendwo müssen wir uns auch in einem Wettbewerb wettbewerbsfähig halten. Wir können nicht immer sagen, wir machen das aus Werte-Gründen nicht, weil wir an der Stelle Kundschaft an Wettbewerber verlieren. Deswegen sind wir dieses Jahr mit dabei und hoffen, dass wir damit auch Menschen erreichen, die dann vielleicht das erste Mal die Produkte tragen.
Dafür werfen wir unsere Werte nicht über Bord. Im Gegenteil: Wir machen es so, dass es zu unseren Vorstellungen passt. Auf der anderen Seite hoffen wir genauso, dass wir damit der Community ein Angebot machen können. Gerade für die, die schon super lange treue Kund:innen sind, aber sich die Schuhe in diesem Jahr nicht mehr leisten konnten. Wir wissen, dass es diesen Need gibt. Und den möchten wir gerne erfüllen.
So ein massiver Sale wie Black Friday spiegelt das ganze Dilemma der Modebranche wider: Es wird viel zu viel produziert, was am Ende abverkauft werden muss. Im nachhaltigeren Bereich versuchen Brands so zu kalkulieren, dass das nicht passiert, und trotzdem gibt es Fehlplanungen. Verhindert ein Abverkauf also, dass Ware weggeworfen wird und Ressourcen umsonst verwendet wurden? Was würde sonst damit passieren?
Anna: Das ist genau die Frage, die dahinter steht: Was passiert denn sonst mit den Sachen? Bei Wildling bilden wir keine krassen Modetrends in unseren Kollektionen ab. Die Schuhe sind natürlich aktuell, aber bleiben es auch. Wenn wir am Ende der Saison etwas übrighaben, bleibt dies weiterhin in der Kollektion. Wir haben noch nie gute Ware in irgendeiner Form vernichtet oder weggeschmissen. Dann dauert es vielleicht zwei Jahre bis die letzten Sachen weg sind, und nicht ein Jahr wie geplant.
Wir haben auch viele Modelle, die zu den sogenannten Essentials gehören. Da gibt es sowieso keinen Abfall. Trotzdem kann ein gewisser Druck entstehen, wenn unser Warenlager komplett voll ist. Es wird dann auch sehr komplex in der Logistik. Deswegen macht es Sinn, an irgendeiner Stelle zu sagen, dass ein bestimmtes Modell vielleicht dauerhaft reduziert wird, um Platz zu schaffen.
Das heißt, ein Sale ist ein Tool, um Warenströme zu managen?
Anna: Ja, Brands müssen aber aufpassen, dass im nächsten Jahr nicht direkt Ware für einen Sale mit eingeplant wird. Das ist eher der Punkt. Und es gibt noch die andere Seite der Medaille: Wir wollen Menschen nicht dazu verführen oder drängen, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen. Das wäre nicht nachhaltig.
Darin steckt eine große Verantwortung, der wir auch in unserer Kommunikation bewusst sind. Wir machen zum Beispiel keine individuellen Rabattcodes oder krass limitierte Angebote wie „25 Prozent, aber nur dieses Wochenende“ und verschicken dazu noch drei Mails, sodass du am Ende wirklich denkst: Ich brauche jetzt diesen Schuh.
Aber warum dann überhaupt am Black Friday? Ihr hättet auch einen Zeitraum außerhalb dieser krassen Konsumzeit wählen können. Am Ende des Tages schwimmt ihr doch im Fahrwasser des Konsums.
Anna: Wir haben natürlich auch überlegt, ob es für uns ein passenderes Timing oder Framing gibt. Aber das Problem ist wieder: Wir sind Teil eines Marktes. Am und um den Black Friday herum haben wir doppelten oder dreifachen Traffic im Onlineshop. Die Leute suchen nach Angeboten. Es gibt auch Menschen, die ein bestimmtes Produkt brauchen. Um Geld zu sparen, warten sie dann auf einen Tag wie Black Friday. Wenn diese Menschen auf unsere Seite kommen, könnten wir ihr Bedürfnis ohne einen Sale nicht bedienen.
Atmo Paprika. Foto: @sarahboll.de & @annadammpunktcom
Dabei habt ihr erst Anfang des Jahres die Preise erhöht. Könntet ihr nicht generell die Schuhe günstiger anbieten?
Anna: Wir mussten die Preise anheben, weil unsere Kosten so extrem gestiegen sind – gerade in den letzten ein, zwei Jahren. Das hätte für uns als Unternehmen sonst nicht mehr funktioniert. Wir kaufen sehr hochwertiges und damit auch hochpreisiges Material ein und haben ein Produkt, das in der gesamten Herstellung recht teuer ist, einfach weil faire und ökologisch-soziale Produktion ihren Preis hat. Aber natürlich fragen wir uns parallel auch: An welchen Stellen können wir zusätzlich Kosten einsparen? Sobald wir das schaffen, wird es auch wieder günstigere Schuhe geben. Das braucht aber Zeit.
Es gibt auch Schuhe, die wir nicht günstiger anbieten können, weil das einfach der Wert der Schuhe ist. Dazu stehen wir auch. Gleichzeitig versuchen wir natürlich auf den Wunsch der Community nach günstigeren Modellen einzugehen. Das Ziel ist: Wir wollen eine gewisse Bandbreite haben, sodass Menschen selbst auswählen können, was zu ihrer Situation passt und wie viel sie gerne ausgeben möchten.
Zurück zum Produkt selbst, um es konkret zu machen: Bei den Schuhen, die am Black Friday über euren Ladentisch gehen, ist nichts an der Lieferkette verändert? Da bekommen alle Produzierenden die gleichen Sätze?
Anna: Genau, das sind unsere regulären Produkte. Wir haben nicht extra Wildlinge für den Sale produzieren lassen. Es gibt Unternehmen, die so große Sales wie Black Friday von vorne herein einplanen. Das tun wir nicht.
Was unterscheidet euch sonst von anderen Unternehmen, wenn es ums Thema Sale geht?
Anna: Es gibt Brands, die ihr Geschäftsmodell auf solchen Sale-Events aufbauen. Was ich wirklich wichtig finde, und das war auch das, wo ich am meisten mit gehadert habe, ist zu sehen, in welchem Umfeld wir uns bewegen. Wir können uns davon nicht komplett frei machen. Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, alle Spielregeln zu missachten – oder besser ausgedrückt: verändern zu wollen.
Wir wollen gerne weiterhin zum Beispiel ein anderes Marketing machen. Nach wie vor ist unser stärkster Hebel die persönliche Weiterempfehlung der Community. Aber es ist eben so, dass wir uns nicht allein darauf verlassen können. Wir können sonst schlicht nicht mithalten.
Wenn wir uns allem verwehren, gehen auch die Möglichkeiten verloren, ganz tolle Projekte anzuschieben und zu finanzieren, tolle Partnerschaften aufzubauen oder zum Beispiel eine schöne Teamkultur zu gestalten. Auch das ist nicht einfach in Krisenzeiten. Und wenn wir uns dafür bis zu einem gewissen Punkt dem Marktumfeld und den damit verbundenen Strategien anpassen müssen, damit wir solche Partnerschaften weiter finanzieren und Lösungen für die gesamte Branche finden können, dann ist das so.
Wenn du es dir wünschen könntest: Wie sollte die Modebranche generell mit Sales umgehen?
Anna: Ideal wäre natürlich, wenn alle Unternehmen politisch zu “wahren Preisen” verpflichtet wären, die also auch ökologische und soziale Kosten mit abbilden würden wir faire Preise hätten. Wenn der Wert des Produktes, der Wert der Beziehung, die dieses Produkt irgendwie gestaltet, einen Teil des Preises ausmachen würde. Dann bräuchten wir uns, glaube ich, über Sales in der Fashion-Branche nicht streiten. Dann wäre klar, ein T-Shirt kann nicht fünf Euro kosten. Wenn alle Unternehmen die tatsächlichen sozialen und ökologischen Kosten mit einpreisen würden, dann hätten wir ein System, in dem man wunderbar agieren könnte – auch jetzt.
Aber so, wie es gerade ist, ist das, was oft mit den höchsten gesellschaftlichen Kosten produziert wird, das Billigste auf dem Markt. Die Branche gaukelt Menschen außerdem vor, dass du nicht cool genug bist, nicht dazu gehörst, wenn du dieses oder jenes nicht hast. Was sollen Menschen machen, außer sich irgendwie versuchen anzupassen? Wir haben einfach insgesamt die falschen Rahmenbedingungen, in denen wir uns bewegen.
Wenn wir aktuell bei Wildling investieren, kommt uns das hinterher nicht unbedingt zu Gute. Das wiederum resultiert in höheren Preisen, und ist, gerade jetzt, natürlich ein großes Problem. Viele Produkte auf dem Markt sind aktuell viel zu günstig und dennoch ist auch bei diesen ein Sale bereits mit eingepreist, sodass die Marge am Ende für denjenigen stimmt, der oder die es verkauft.
Auch das ist ein Druck, der in einem Markt entsteht, der total ungesund ist. Niemand, der sich in dieser Branche bewegt, kann sich davon freimachen, weil letztendlich die Zwänge und der Druck aus der restlichen Welt genauso für uns und auch für unsere Kund:innen gelten. Deswegen wäre es schön, wenn alle Unternehmen von Anfang an einen fairen Preis festlegen müssten. Bei Wildling machen wir es genauso und werden es auch weiterhin tun.
Vielen Dank, Anna, für deine klaren Worte. Ich bin ehrlich: Ich freue mich auf den Black Fox Friday. Mein Kind braucht nämlich dringend neue Schuhe.
Jana Braumüller arbeitet als freie Journalistin und Texterin, insbesondere zu den Themen Nachhaltigkeit, Mode und Gesellschaftspolitik. 2018 hat sie gemeinsam mit Vreni Jäckle und Nina Lorenzen Fashion Changers gegründet – eine Aufklärungs-Plattform rund um faire und nachhaltige Mode. Zu Beginn 2023 hat Jana Braumüller Fashion Changers als Co-Gründerin verlassen.
Foto: Emilie Elizabeth
Titelbild: @sarahboll.de & @annadammpunktcom